«Das ist mein persönliches Geschenk für euch beide.» Ich überreiche den kleinen, roten Umschlag mit den goldenen Schriftzeichen mit beiden Händen und für einen Augenblick wird mein Sihing ernster. Er nimmt das Geschenk entgegen und verstaut es sorgsam in seinem Jacket. Es ist ein feierlicher Moment, so kurz und unscheinbar er auch sein mag.
Ich habe meinem Sihing genauso zu seiner Hochzeit gratuliert, wie ich es bei jedem Menschen, der mir wichtig ist, getan hätte. Das Buch, das ich unter Mitarbeit meiner Mitschüler hergestellt habe, ist ein so albernes Geschenk, wie es überall passend gewesen wäre. Lai Si – Glücksgeld – allerdings gebe ich nur innerhalb dieser sehr speziellen Familie.
Der Umschlag
Es gibt keine exakt vorgeschriebene Form für Lai Si-Umschläge (Leisi, Hongbao, Angpow, Lishi, Leisi, etc.). Wichtig ist, dass sie rot sind, denn rot ist die Farbe des Glücks. Verzierungen sind normalerweise in gold oder gelb gehalten. Der Inhalt, also die Höhe des Geldbetrags, wird nicht willkürlich gewählt, sondern entspringt der chinesischen Numerologie.
Und wann gibt man nun Lai Si?
Traditionelle Anlässe dazu sind das Chinesische Neujahrsfest, Hochzeiten oder der Löwentanz – aber grundsätzlich kann man Lai Si zu jedem wichtigen Anlass übergeben. Innerhalb der Kung Fu Familie ist es nicht zuletzt üblich, so dem ein Fest ausrichtenden Familienmitglied die finanziellen Aufwände zurückzugeben. Man gibt dann also mindestens so viel Lai Si, wie man ungefähr konsumiert hat. Dabei gilt allerdings auch, dass die Familie sich gegenseitig stützt. Reichere Mitglieder geben mehr als Ärmere, was sich dann wieder ausgleicht.
Lai Si kann in alle Richtungen vergeben werden. Es ist also nicht dem Sifu vorbehalten oder den älteren Geschwistern. Genauso gut könnte ich jedem Mitglied meiner Familie Lai Si geben. Verpflichtend ist es nicht. Lai Si ist kein Zwang, sondern ein Geschenk.
Geschichte
Die Geschichte des Glücksgeld reicht weit in die Vergangenheit zurück. Ich habe zwei verschiedene Varianten des Herkunftsmythos gefunden. Beide drehen sich darum, dass man sich gegen ein Monster schützen musste.
Die eine lautet folgendermassen und stammt angeblich aus der Qin-Dynastie (618 – 907): Es gab ein Monster namens Sui, welches sich zu Neujahr an schlafende Kinder anschlich. Berührte es sie, begannen sie zu schreien und bekamen furchtbare Kopfschmerzen. Der rote Umschlag und die goldene Schrift wirkte aber gegen Sui. Er wurde also unter das Kissen gelegt und schon war das Kind sicher.
Eine weitere Geschichte stammt aus der Song Dynastie (960 – 1279): Ein Dorf wurde von einem riesigen Dämon bedroht. Niemand konnte ihn besiegen, bis ein junger Mann mit einem magischen Schwert das Dorf erreichte. Er erschlug den Dämon, worauf man ihm zum Dank einen roten Umschlag mit Geld überreichte.
Lai Si Heutzutage
Seit 2014 WeChat die Möglichkeit eröffnet hat, digitales Lai Si zu verschenken, wird diese Möglichkeit rege genutzt.