Da mein Artikel über die Hung Mun mehr Zeit in Anspruch nimmt als gedacht, kommt zuerst das zweite Interview. Dieses Mal teilt meine Kung-Fu-Schwester Bea Strasser aus der Schule Winterthur ihre Gedanken mit uns.
Kurzinfo
Name: Bea Strasser
Jahrgang: 1992
Mit Kung Fu angefangen im Jahr: 2018
Stil / Schule: KFSS Winterthur
Interview
Beschäftigt dich Kung Fu ausserhalb der Lektionen / Seminare? Wenn ja, wie äussert sich das?
Kung Fu beschäftigt mich immer mal wieder. Bei den morgendlichen Dehnungsübungen, aber auch im Beruf, wenns mal wieder hart auf hart kommt. Vor allem aber in der Uni. Ich schreibe gerade meine Bachelorarbeit. Mein Untersuchungsgegenstand? Tiger und Kranich im Kung Fu.
Wie motivierst du dich, wenn es mal hart wird?
Ich hab das Glück, dass mein Sihing recht gut weiss, wie er mich motivieren kann. Wenn ich mich selbst motiviere, dann meist durch meine Lernstrategien. Ich bin sehr verbissen, wenn ich etwas wirklich will. Das motiviert unheimlich.
Hast du eine bestimmte Lernstrategie, die du anwendest? Welche?
Ich konzentriere mich auf etwas Spezifisches. Im Moment ist das meine Fusshaltung bei der Pfeil-und-Bogen Stellung. Wenn ich das soweit drin habe, dass ich und mein Sihing zufrieden sind, gehts an die nächste Baustelle.
Was denkst du zu der Familienstruktur und den damit verbundenen Beziehungen zu Leuten, die du nicht kennst?
Zu Beginn war die Familienstruktur etwas, was mich recht abgeschreckt hat. Wieso soll ich jemandem, den ich nicht kenne, Bruder oder Schwester sagen? Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Und irgendwann gibt es Sicherheit. Ich finde es immer noch komisch, dass Menschen, die ich kaum kenne, Bruder oder Schwester genannt werden. Aber die Leute aus meiner Schule, die wurden für mich zur Familie.
Warum machst du Kung Fu?
Begonnen habe ich wegen meinem Gewicht und meiner nicht vorhandenen Fitness. Geblieben bin ich wegen allem anderen. Der körperlichen, aber auch der mentalen Stärke, die mir das Kung Fu gibt. Wegen meiner zweiten Familie, die ich gefunden habe. Weil Kung Fu mir etwas im Leben gibt, was ich vorher gesucht habe.
Was in Bezug auf Kung Fu hat dich bisher am meisten beeindruckt?
Am meisten beeindruckt mich die Ganzheitlichkeit. Es geht nicht nur im Fitness, Kampf oder Selbstverteidigung. Es geht um alles zusammen und noch um viel mehr. Es geht auch um mentale Stärke, Gesundheit und um Wissen. Uraltes Wissen. Und diese Ganzheitlichkeit fasziniert mich immer wieder.
Gibt es Dinge, zu denen du dich jeweils überwinden musst in Bezug auf deine Kung Fu Ausbildung? Wenn ja, was sind das für Dinge?
Ich muss mich immer wieder überwinden. Wenn ich etwas zum ersten Mal mache. Oder wenn ich etwas zum tausendsten Mal mache und den Kick oder den Schlag noch immer nicht begreife. Oder ich muss mich ins Training überwinden, wenn ich länger gefehlt habe. Aber auch Prüfungen und Turniere fordern Überwindung. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt und ich werde nicht gerne geprüft. Und doch gehört es dazu.
Bist du kritisch gegenüber dem, was dir beigebracht wird und gegenüber den gelebten Traditionen? Stellst du Fragen, wenn du etwas nicht verstehst / nicht einverstanden bist? Nimmst du es einfach, wie es ist?
Ich bin Studentin. Ich bin es gewohnt, immer und immer wieder Fragen zu stellen, was ich auch tue. Wenn ich etwas nicht verstehe, oder wenn mir etwas nicht klar, nicht ersichtlich ist, stelle ich gerne auch mal kritische Fragen. Mein Sihing begrüsst das. Es gibt schliesslich einen Unterschied zwischen kritischen und unhöflichen Fragen. Und es ist noch immer besser zu fragen, als unwissend zu bleiben.
Was geht dir durch den Kopf, wenn dein Lehrer dir zum hundertsten Mal ‘Nein’ als Feedback gibt, wenn du dich abmühst, etwas richtig zu machen?
Es ist frustrierend. Es liegt aber auch in meiner Verantwortung, nachzufragen was genau falsch ist. Ich bin schliesslich gekommen, um zu lernen. Also muss ich auch bereit sein zu lernen und Fehler zu machen.
Wenn du dir Kämpfer anschaust, die von Kindesbeinen an eine bestimmte Sache ausüben und eine hohe Kunstfertigkeit erreicht haben: Was löst das bei dir aus?
Ich bewundere sie. Ihr Können, aber auch ihren Durchhaltewillen und die Menge an Blut und Schweiss, die in ihr Können geflossen ist. Es weckt einen gewissen Ehrgeiz in mir. Ich weiss, dass ich nie so gut sein werde. Aber ich kann es probieren.
Bedeutet Kung Fu auszuüben, gewaltbereit sein zu müssen? Warum ja/nein?
Nein. Kung Fu bedeutet für mich, zu wissen wie man kämpft, aber auch wann man kämpft und warum. Kung Fu ist viel mehr als Kampf. Kung Fu auszuüben macht mich nicht zu einem gewaltbereiten Menschen, sondern zu einem Menschen, der weiss, wie er sich zu verteidigen hat.